Arbeiten auf dem Friedhof

 

 

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In Sucre gibt es den großen Friedhof, auf dem sich auch Gräber berühmter Staatsmänner, Geistlicher und Künstler befinden, zum Beispiel der ex-Präsident Gregorio Pacheco.

Nicht nur für die Kinder des Stadtviertels „Tejar“ bietet sich auf dem Friedhof die Möglichkeit, durch Arbeiten wie Führungen, Instandhaltung von Gräbern oder auch nur dem Autowaschen (während die Familie am Grab weilt) Geld für den notwendigen Familienunterhalt dazu zu verdienen. Darunter leidet natürlich aber die schulische (Aus-) Bildung dieser jungen Menschen, die jedoch essentiell ist, um einen Schritt aus dem finanziellen und sozialen Umfeld zu machen und am gesellschaftlichen und kulturellen Leben teilnehmen zu können.

"Limpieza de nicho, por favor!" (Einmal die Grabnische putzen, bitte!). Und so nimmt der kleine Juan die große Leiter und geht hinter der Familie her. Die Leiter ist schwer und der Weg ziemlich weit, im hintersten Bereich des Friedhofs, fast ganz oben liegt die Grabnische. Die Familie setzt sich vor der Nische bequem auf die Bank und packt das mitgebrachte Essen und die Getränke aus, während der kleine Juan seiner Arbeit nachgeht. Er klettert die Leiter hoch und schließt die Grabnische auf. Er muss die alten Blumen e

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ntfernen und frische hineinstellen, die Nische putzen und dann auch noch einen kleinen Krug frisches Wasser für den Verstorbenen holen. 

 

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Die Familie macht es sich derweil bequem, sie gedenken gemeinsam des/r Toten, picknicken ausgiebig, reden und, ja, auch das: lachen. Obwohl sie nicht schweigsam, still betend vor dem Grab stehen, fehlt es hier nicht an Respekt vor den Verstorbenen. Im Gegenteil: diese werden in das Picknick quasi "eingebunden". Vielleicht ist dies eine natürliche Art, mit dem Tod umzugehen. Während der kleine Juan frisches Wasser holt, studiere ich, Margit von der Boliviengruppe des LoLa, die umliegenden Grabnischen, es sind viele Kindernischen dabei. Isabella 3 Jahre, Victor 2 Jahre und Maria ist auch nur 4 Jahre alt geworden, lese ich. Die Kindernischen sind geschmückt mit kleinen Puppen, Stofftieren, Plastikautos und Blumen. In Bolivien sterben von 1.000 Kindern 41; - in Deutschland sind es 3,5 Kinder pro 1.000 (laut Index mundi).

Jetzt schnell noch den Krug von Wasser in die Nische gestellt, und Juan ist mit seiner Arbeit fertig. Umgerechnet einen Euro bekommt er für seine Tätigkeit, die etwa eine Dreiviertelstunde gedauert hat. Für die Verstorbenen beten, ist dann schon billiger. Für umgerechnet 20 Cent beten die Kinder für den Toten oder auch für die Familie. Oder darf's vi

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elleicht eine Friedhofsführung sein? Für 2 Euro bekommt man eine professionelle Führung durch den historischen Friedhof in Sucre. Einige - ehemalige Friedhofskinder helfen schon mal bei einer Beerdigung. Die Gestaltung und auch die Grabrede, übernimmt die Familie selbst. "Tschau, Papa" ruft die Tochter, als der Sarg in die Nische geschoben wird. Einen Pfarrer braucht man in Lateinamerika zu einer Beerdigung nicht.

Die meisten Friedhofskinder geben das verdiente Geld ihren Eltern. Oft ist der Zuverdienst für die Familien auch dringend nötig. Der durchschnittliche Verdienst liegt in Bolivien bei 225 Euro monatlich. Bolivien ist das ärmste Land in Lateinamerika. Die Arbeitslosigkeit ist sehr hoch. Arbeitslosengeld, wie bei uns, gibt es in Bolivien nicht.

 

 

Brief vom Friedhofskind Orlando

Liebe Freunde in Deutschland,
meine Geschichte kann ich euch schnell erzählen,denn ich bin fast 12 Jahre alt, habe aber bisher kaum gelebt. Stattdessen bin ich durch schwere Zeiten gegangen, aber genau die machen meine Geschichte zu etwas Besonderem.
Ich heiße Orlando und gehe in die 5. Klasse. Meine drei Geschwister sind 10, 7 und 6 Jahre alt. Wilbert ist im 3. Schuljahr und Cimena und Salomé gehen in die 1. Klasse. Wir leben alle vier bei unserer Omi Sarah. Sie ist die Person in unserem Leben, die wir am meisten mögen. Wir wohnen in einem Haus, dessen Besitzer uns ein kleines Zimmer vermietet. Hier schlafen wir alle. Wir haben zwei Betten, eins davon haben wir mit Plastikkisten selbst aufgebaut, denn meine Oma hat kein Geld, um ein weiteres Bett zu kaufen. Wir haben Mutter und Vater, aber sie verließen uns vor langer Zeit und jeder von ihnen hat seine eigene Familie. Mein Papa arbeitet als Taxifahrer und kommt selten, um nach uns zu schauen, denn er hat andere Kinder, für die er sorgt. Meine Mama - ich weiß nicht viel von ihr, weil wir sie seit sehr langer Zeit nicht gesehen haben. Das einzige, das wir wissen ist, dass sie genau wie mein Vater andere Kinder hat.
Immer wenn ich mich allein fühlte oder Mamas und Papas Hilfe brauchte, waren sie nicht da. Noch schlimmer, wenn wir Hunger hatten, gab es nichts zu essen. Meine Omi Sarah kümmert sich um uns, sie gibt uns zu essen und anzuziehen und darum lebt sie in meinem Herzen und wird dort immer leben.

Viele Grüße,
Orlando